Murphys Gesetz

                                                          

 

Die Personen:

Jakob und Luigi.

Sie kennen sich seit Kindertagen. Das gleiche heruntergekommene Viertel, die gleiche schmierige Schule, die gleichen Erfahrungen auf den von Banden kontrollierten Straßen. Freund, Kollege, Mitstreiter. Sie waren die Paten ihrer Kinder und haben sogar Schwestern geheiratet. Familie eben.

Die Planung:

„Wir nehmen das Auto von Carlos, den neuen SUV.“ Luigi zog an seiner Zigarette. Sie hockten auf den Schaukeln des schäbigen Spielplatzes und hüteten ihre Kinder: Matteo, Stella, Emilia und Lorenzo.

„Das protzige Ding? Damit fallen wir doch überall auf.“ Jakob nahm Luigi die Zigarette ab und inhalierte tief. Hustete und gab sie zurück.

„Eben nicht!“ Luigi war Feuer und Flamme. „In der Innenstadt fahren nur solche Kutschen herum. Aber was das Beste am Wagen von Carlos ist: er hat einen Kuhfänger vorne dran.“

Jakob schnaufte. „Erstens: Carlos wird uns umbringen, unsere Kinder verkaufen und unsere Frauen für sich anschaffen lassen, wenn der Wagen auch nur den winzigsten Kratzer bekommt. Und das wird er definitiv. Und Zweitens: Warum fährt Carlos einen Wagen mit Kuhfänger?“

„Na, um damit zu protzen? Mann, so was geht dir völlig ab. Aber das wird anders werden, wenn wir den Laden ausgeraubt haben.“

„Du meinst den Juwelier? Den an der Ecke mit den Schaufensterscheiben aus Panzerglas, dem bewaffneten Sicherheitspersonal und den wärmegesteuerten Kameras?“

„Genau den!“ Luigi lachte. „Meiner Gloria werde ich die schöne Halskette mit den Rubinen mitbringen. Und die Ohrringe dazu. Matteo bekommt die Omega-Uhr und Stella die kleine silberne Tiara. Sie wird reizend damit aussehen!“

„Sicher. Aber wohl nur zehn Sekunden lang. Wie willst du verhindern, dass man uns erkennt? Ich sage nur: Kameras.“

„Skimützen natürlich. Und Overalls, die kann uns Luca von der Arbeit mitbringen.“

„Gut. Ich fasse zusammen: mit dem Wagen von Carlos fahren wir in die Innenstadt …“

„Nachts natürlich. Die Straßen sind beleuchtet, wir müssen nicht mal Licht anmachen.“

„Das geht automatisch an, das werden wir nicht verhindern können.“

„Egal!“ Luigi klatsche in die Hände. „Die Innenstadt … mach weiter. Der Plan ist so wasserdicht, da kann nicht mal Pisse durch.“

„Also, die Innenstadt – nachts. Wir rasen auf …“

„Zuerst müssen wir uns mit dem Wagen positionieren. Die Polizei fährt regelmäßig Streife. Aber ich kenne die Uhrzeiten: immer zur halben Stunde.“

„Dann also kurz nach halb zwei …“

„Vier Uhr. Vorher sind noch zu viele Nachtschwärmer unterwegs.“

„Wann treffen wir uns eigentlich? Ich muss mir den Wecker stellen. Und aufpassen, dass Maria nicht aufwacht. Sie hat sonst den ganzen Tag schlechte Laune. Und das willst du nicht erleben.“

„Wir treffen uns um drei. Holen den Wagen bei Carlos. Der Idiot lässt ihn draußen stehen, um sogar bei Mondlicht noch zu klotzen. Er wird sich wünschen, es nicht getan zu haben. Haha. Dann ab in die Innenstadt. Die Seitenstraße.“

„Wie heißt die Straße?“

„Welche Straße?“

„Na, die Seitenstraße. Ich werde die Adresse vorher bei Google eingeben, damit wir keine Zeit verlieren.“

„Moment, das muss ich selbst erst … die Kurfürstengasse.“

„Also wir fahren in die Kurfürstengasse. Warten. Bis die Streife zur halben Stunde vorbei ist. Dann?“

Luigi raufte sich die Haare. „Dann fahren wir los. Rauschen über die Fußgängerzone direkt in die Fronttür des Geschäfts. Krach.“

Jakob nickte. „Dann raus aus dem Wagen und …“

„Die Säcke nicht vergessen! Womit sollen wir sonst die ganzen Klunker mitnehmen?“

„Gut. Die Säcke … dabei fällt mir ein. Maria ist damit fast fertig. Sie hat den Stoff von Emilias Kleid genommen …“

„Sollen wir nicht doch lieber Kopfkissen nehmen? Nimm’s mir nicht übel, aber Maria und Handarbeiten … sie hat doch zwei linke Hände.“

„Gut, dann halt Kopfkissen. Wir rennen durch den Laden, hauen mit den …“

„Zimmermannshämmern …“

„Den Zimmermannshämmern das ganze Glas kaputt und räumen alles aus. Packen ein. Und dann rückwärts mit dem Wagen wieder raus. Was ist mit der Alarmanlage?“

„Wird uns die Ohren vollplärren. Aber bis die Bullen kommen, sind wir schon wieder weg.“

Jakob dachte nach, nickte, lächelte lieb. „Ganz einfach.“

 

Die Durchführung:

„Wo bleibst du so lange? Luigi? Und was ist das für ein Auto? Wo ist der SUV?“

„Der … Carlos hat den Tank leergefahren. Was denkt er sich nur dabei?“

„Stattdessen hast du das Auto seiner Tochter genommen? Einen Fiat 500?“

„Mit dem eigenen Auto können wir ja wohl schlecht hinfahren. Immerhin hat das hier einen E-Motor. Wir werden uns anschleichen wie eine Katze. Hast du die Overalls, die Mützen und Handschuhe?“

„Sicher. Hier.“

„Wo sind hier denn die Löcher? Mist … dreh dich mal um!“

„Was ist?“

„Auf den Overalls steht „Luca Russo – Entrümpelungen – wir räumen alles aus.“

„Passt doch.“

„Hm … stimmt auch wieder. Wo sind die Säcke?“

„Hier – ich musste doch die frisch Genähten nehmen. Die Kopfkissen hat Maria heute in die Wäsche getan.“

„Habt ihr nur ein Paar Kopfkissen? Auf denen hier sind rosa Bärchen drauf.“

„Ist doch hübsch.“

„Die Handschuhe?“

„Ich hab nur welche mit abgeschnittenen Fingern gefunden. Lorenzo hat die Schere entdeckt und losgeschnippelt. Blöd jetzt, oder?“

„Ja, blöd … hm. Lass uns im Verbandskasten nachsehen. Heutzutage müssen doch alle Gummihandschuhe dabeihaben … Sieh her, Gummihandschuhe. Carlos‘ Tochter ist ein braves Mädchen.“

„Sollen wir jetzt beide anziehen? Das mag ich nicht, da hab ich kein Gefühl in den Händen.“

„Wenn du dich am Glas schneiden und deine Spuren hinterlassen willst – bitte. Ich ziehe auf jeden Fall beide an.“

„Also gut. Los jetzt, es ist gleich viertel nach drei. Bis wir in der Innenstadt sind, sind die Bullen gerade weg.“

„Ich wusste nicht, dass die Ampeln auch nachts so lange rot sind.“

„Und nicht mal in Reihe geschaltet. Was denkt sich die Stadtverwaltung dabei?“

„Soll ich rüberfahren? Bei Rot?“

„Nein! Du lieber Gott. Dann werden wir geblitzt.“

„Und die Tochter von Carlos bekommt den Strafzettel.“

„Du hast Recht: Kein Mitleid mit dem Gör. Fahr los!“

„Wir sind spät dran. Kurz vor vier.“

„Das reicht trotzdem. Rein, raus, fertig.“

„Sind noch ganz schön viel Leute unterwegs. Sieh mal: hier bei Google steht, dass die Küfergasse ein beliebter Treffpunkt für Nachtschwärmer ist. Discos, Bars … und sogar einen Burgerladen. Ich bekomme Hunger.“

„Gabs denn nichts zum Abendessen?“

„Doch, Maria hat Eintopf gemacht. Aber du weißt ja, Kochen ist nicht ihre Stärke.“

„Was kann Maria denn überhaupt … Duck dich!“

„Warum … Oh, hallo. Auch noch unterwegs? Nein, ich rauche nicht. Luigi, du … hast du dein Feuerzeug dabei? So hier. Schöne Nacht noch. … Na, die waren doch ganz nett.“

„Und haben dein Gesicht gesehen – und meins. Und meinen Namen genannt, geht’s noch? Warum hast du dich nicht geduckt?“

„Der Wagen ist so klein. Wo hätte ich mich da hinducken sollen? Ich hab den Sitz schon ganz nach hinten schieben müssen und trotzdem stoßen meine Knie ans Armaturenbrett. Das tut weh.“

„Ruhe jetzt. Ich seh mal nach, ob die Pisser weg sind. … Gut, es kann losgehen.“

„Moment noch … Luigi, du … ich muss dir noch sagen, du bist mein bester Freund. Egal, was passiert, du wirst es immer sein.“

„Jakob … jetzt muss ich gleich … oh … schluchz.“

„Alles gut, Luigi, ich wollte nur, dass du es weißt. Räusper. Kanns losgehen?“

„Fahr! Fahr los! Ab jetzt wird alles anders.“

Der Polizeibericht:

Um vier Uhr am Freitag, den 7. März 2024, wurde der – immer zur vollen Stunde fahrende – Streifenwagen mit den Beamten Harald Lüning und Gerhard Huber von einem zitronengelben Fiat 500 (Beweisstück a) aus der Kurfürstengasse kommend geschnitten. Der Kleinwagen raste auf das Geschäft des Juweliers Hartmann zu. Das Auto rammte das heruntergelassene Schutzgitter. Setzte mehrfach zurück und fuhr erneut mit hoher Geschwindigkeit – soweit es die Enge der Fußgängerzone zuließ – gegen die Barriere. Schließlich verhakte sich ein Metallteil mit der Stoßstange des Kleinwagens und wurde aus der Verankerung gerissen. Funkensprühend wurde das Gatter über die Straße gezogen. Kurze Zeit später flogen den Tätern freigesetzte Leuchtspurgeschosse der Alarmanlage um die Ohren.

Zwei Personen in Overalls der Firma Luca Russo, Entrümpelungen, sprangen aus dem Wagen. Die zur Vermummung gedachten Skimützen (Beweisstücke b und c) waren offensichtlich zu groß und behinderten das Fortkommen der Verdächtigen. Mit großem Aufwand überwanden die Personen die gerammte Eingangstür und gleich darauf war das Splittern von Glas zu hören. Ebenso mehrere, wohl schmerzhafte Ausrufe. „Du hast die Hämmer vergessen, ich fasse es nicht!“

Die Beamten Lüning und Huber forderten Verstärkung an und gingen vor dem Geschäft in Stellung.

Als die Verdächtigen mit bunt genähten Säcken (Beweisstücke d und e) vom Tatort fliehen wollten, ging das Diebesgut verloren, da die an der Unterseite angebrachten Knöpfe nicht geschlossen waren. Die Täter versuchten, in der in der naheliegenden Gasse zu entkommen. In der Kurfürstengasse wurden die Fliehenden von Besuchern der Diskothek „Bad Ass“ angehalten, da sie dort für Mitglieder einer gebuchten Truppe von Strippern gehalten wurden. In Begleitung dieser johlenden Zeugen konnten die um Mitleid heischenden Täter ohne Gegenwehr festgenommen werden.

Allerdings bleibt anzumerken, dass ein heftiger Streit bei den Festgenommenen im Einsatzwagen entbrannte. Sie beschuldigten sich gegenseitig und kündigten sich auf immer die Freundschaft.

Unterschrift, Harald Lüning, Hauptkommissar, Bernhard Huber, Polizeimeister.