Kaaleb Nachtfar – Grün

DieSeit fünf Jahren regiert Rouven Hardlicht als König und Tan Hardland und die Eisigen Höhen. Aber noch immer bedrohen abtrünnige Familien den Frieden: Ein Krieg ist unvermeidlich und so stehen sich die feindlichen Heere erneut gegenüber.

Kaaleb Nachtfar, Rouvens Vertrauter, hadert mit seiner Segnung, dem Grün. Seinem Fluch. Bis ihm die geheimnisvolle Solveig zeigt, dass die Magie, die sie beide tragen, nicht nur eine tödliche Waffe sein kann. Mit dem Auftauchen der schönen Lissa scheint Kaaleb, dem Einsamen, sogar Liebe möglich. Doch Solveig spielt nicht mit offenen Karten, ihre Absichten sind undurchschaubar. Dann ist da noch ein Fremder, der für seine finsteren Zwecke Gesegnete um sich schart. – Und sie alle in Gefahr bringt.

Kaaleb Nachtfar – Grün ist Band 2 der Anthologie der Gesegneten. Band 1, Rouven Hardlicht – Blau und Band 3, Josha Schneelicht – Weiß, sind ebenfalls hier zu finden.

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Leseprobe

Meine Welt ist grün. Ich bin das Grün. Das Yeleerioon ist ich. Ich spüre es beinahe nicht mehr und doch alle Zeit. Es gehört zu mir wie das Atemholen, stetig und unbewusst. Nur zu Anfang, als es sich aus mir heraus quälte und mich beinahe entzweiriss, da hatte es gebrannt. Wie Säure. Und ich glaubte mich für immer von Narben gezeichnet, die schwärend und eitrig waren.

Ich bin nicht hellsichtig wie Bullwaiss und Rouven. Nein. Ich bin gefährlich. Ich bin mächtig. Ich bin besessen. Kaaleb Nachtfeuer, Nachtfar. Dunkler Kaaleb, wie sie mich nennen. Aus gutem Grund.

Ich bin das Grün.

Ich bin verflucht.

Und ich bin ein Empath.

Die Große Halle von Hardfartur summte. Der Tanrat war zusammengekommen und alles hatte sich versammelt. Die Hohen Häuser mit ihrem Gefolge und den ihnen verpflichteten Kleinen Häusern, die Bediensteten, die Kinder, die Hunde. Es herrschte ein unüberschaubares Durcheinander, und am liebsten hätte ich meine Hände an die Ohren gelegt und die Augen geschlossen, um den Lärm und alles andere auszuschließen. Aber wem wollte ich etwas vormachen? Noch immer wären sie alle in meinem Kopf präsent gewesen. Es gab kein Entkommen.

Ich rollte mit dem Kopf, versuchte, meine Schultern zu lockern, wieder ein Griff an den Ausschnitt meines Hemdes. Die Anspannung hatte meine Muskeln verhärtet und die unzähligen Eindrücke, die gepresste Stimmung, verursachten mir Kopfschmerzen. Ich blinzelte mehrmals, weil die Sonne jetzt durchbrach und einen stechenden Schmerz hinter meinen Augen auslöste. Meine Hand fuhr mir in den steifen Nacken. Rouven sah kurz zu mir herüber, fragend, aber ich schüttelte den Kopf. Nein, ich konnte den Fremden nicht fühlen. Dafür aber alles andere, schoss es mir durch den Kopf.

Die Männer am Ende der Halle schienen unschlüssig. Wenn sie geplant hatten, den Tanrat hinterrücks zu überfallen, so war ihnen das gründlich misslungen.

Dennoch stimmte etwas nicht. Ich spürte es deutlich. Kurz blickte Rouven fragend in meine Richtung, auch er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass noch etwas auf uns zukam, dass das nicht alles war. Die Männer der Tam, so gerüstet sie auch waren, so vor Waffen starrend, waren nicht die eigentliche Gefahr. Nein, sie waren vielmehr der bewusst herbeigeführte Anstoß zu den verheerenden Geschehnissen, die nun folgten.

Die Gefahr war ich.

Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, trat ich vor Rouven und rief mein Yeleerioon. Ich gestehe, es war eine Wohltat, mein Grün zu spüren. Mein Grün. Es durchdrang mich warm und heilend. Jeder aufgebrachte Gedanke schmolz dahin, jedwede Regung, die mich in den letzten Tagen in Bedrängnis gebracht hatte, all die Eindrücke, all der Hass und die Niedertracht, die mich verfolgt hatten, wurden nichtig und verbrannten in meiner Magie. Jetzt war ich wieder ich selbst. Das Bild Beligas blitzte kurz auf, ihr Lächeln. Meine Kopfschmerzen waren nur noch ein entfernter Schatten, meine Schultern und mein Magen lösten sich aus ihrer Verkrampfung. Meine Hand, bereits von meiner Segnung umwunden, rieb beinahe liebevoll über meine Brust, ich holte tief und befreit Luft. Ich weiß, ich habe gelächelt.

Und dann versank alles im Chaos.

Ich richtete meine Augen, grün in grün, die Pupillen weit wie bei einer Jagd, auf die Männer in der Tür der Großen Halle. Der Unbekannte war nicht mehr dort, aber das war mir gleichgültig. Grimmig verzog ich den Mund. Endlich.

Als ich vortrat, spürte ich kurz Hände an meinen Schultern, die mich zurückhalten wollten. Vergeblich. Mein Yeleerioon verbrannte sie und so wurden die Hände zurückgerissen. Niemand konnte sich mir in den Weg stellen, nicht einmal Rouven selbst, dessen starkes Blau ich in meinem Rücken spürte, und das mich nicht erreichen konnte. Auch sein Geist nicht, obgleich er es versuchte. Ich war das Grün und ich sah meinen König in Gefahr.

Als ich weiterging, ruhig, gelassen – es tat so unendlich wohl, meinem Grün freien Lauf zu lassen – traten alle furchtsam zurück. Wann hatte ich das zuletzt getan? Da traf mich ein Strahl der Sonne und ich blickte blind nach oben. So stand ich dort, inmitten der Großen Halle. Grün, von meiner Geliebten umschmeichelt, mein König hinter mir, den es zu schützen galt, die unzähligen Feinde vor mir. Ein ungleicher Kampf, so schien es jedem. Aber ich wusste bis in jede meiner gesegneten Zellen, dass ich siegen würde.

Ich breitete die Arme weit aus und öffnete die Hände in der segnenden Wärme von Raalan. Meine Magie nahm Gestalt an und wurde dicht und warm. Sie glitt mir weich aus den Händen wie Schlangen. Verlängerte sich, entrollte sich und schließlich griff ich danach. Ich umschloss die warmen Enden der mittlerweile drei Schritt langen Peitschen und spürte die Kraft, die freigelassen werden wollte, die nur darauf wartete, loszuschlagen, und endlich, endlich herausgelassen wurde.

Ich rannte.

Ich war das Yeleerioon.

Ich erreichte die Tam und tötete.

»Wo kommst du her, Sigurd? Ich sehe dich hier zum ersten Mal.« Auch wenn die Frage beiläufig klang, erkannte ich den forschenden Unterton. Jeder in Rouvens Nähe, dem unmittelbaren Umfeld des Königs und Tans, musste mit solchen Fragen rechnen. Und ihnen standhalten.

»Ich bin der Zweitgeborene vom Hause Sighall. Im letzten Winter wurde ich bei den Zornigen aufgenommen.« Sigurd deutete eine knappe Verbeugung an.

»Ein Runis?« Edgar setzte sich überrascht auf. »Niemals hätte ich gedacht, dass du ein Runis bist. Ich dachte immer, dass ein Runis groß, breit und von spontanem Verstand ist.« Er hob die Hand. »Verzeih, wenn ich so rede, aber bisher habe ich nur wenige Runis kennengelernt und Korrgaan erscheint mir als der typische Axtstreiter.«

Sigurd verbeugte sich erneut, und als er sich aufrichtete, war sein Gesicht puterrot. Er wusste nicht, wohin er blicken sollte, geschweige denn, dass er eine Antwort wusste. Sicher, er mochte gerade dreizehn Winter alt sein, trotzdem war er der erste Runis, der kein Großmaul zu sein schien.

»Meine Mutter stammt aus Tanland … aus Gelder an der Furt beim Raunenden Fluss. Mein Bruder Sigwart ist der Vorstand unseres Hauses Sighall, das dem Hohen Hause Korrgaans verpflichtet ist«, sagte er fast entschuldigend. Eine Mutter aus Tanland schien die beste Begründung für sein zurückhaltendes Gebaren. Er legte ein Tuch auf den Stuhl neben der Wanne und trat dann die Flucht an.

»Wenn Ihr mich nicht mehr braucht, Herr …«

Rouven nickte. »Sicher, du kannst gehen.« Er richtete sich in der Wanne auf. »Und bestell Korrgaan, dass ich erwarte, dass mein Leibdiener mich mit seiner Axt und seinem Leben verteidigt.«

»Mein Herr?« Sigurd war überrumpelt, trat sogar einen Schritt zurück, als ob Rouvens Worte ihn körperlich getroffen hätten. »Mit meiner Axt?«

Rouven nickte bedächtig und Edgar tat es ihm gleich. Sigurds Blick flackerte, er sah sogar mich an, der ich auf der anderen Seite des Tisches saß. Aber auch ich verzog keine Miene. Josha neben mir rollte mit den Augen, als Sigurd wieder wegsah.

»Sicher«, meinte Rouven. »Mit deiner Axt!«

»Und mit deinem Leben«, bekräftigte Edgar.

»Es heißt, dass ein Runis seine Axt mit ins Bett nimmt. Stimmt das, Sigurd?«, fragte Josha jetzt.

Sigurd sah von einem zum anderen. Er rang verwirrt seine Hände, deren Gelenke keine Wildeberhauer trugen und noch jungenhaft schmal waren. Diese Prüfung stand ihm noch bevor.

»Ins Bett? Oh, nein. Wir schlafen nicht mit unserer Axt.« Er schien sich der Doppeldeutigkeit seiner Worte nicht bewusst zu sein.

»Na, das beruhigt mich doch ungemein.« Edgar erhob sich und schlug Sigurd auf die schmalen Schultern. »Ich könnte Korrgaan nicht mehr in die Augen sehen, ohne mir vorzustellen, was er nachts mit seiner Axt treibt.« Er lachte leise.

»Aber, nein, mein Herr …« Sigurd verstummte abrupt, dann lachte er befreit. »Ihr scherzt, meine Herren.«

Edgar grinste und trat zur Anrichte. Er goss einen Becher voll Ale und reichte ihn Sigurd, der ihn sichtlich erleichtert entgegennahm.

»Nimm es uns nicht übel, mein junger Freund, aber ein Runis ohne Axt ist fast ein Widerspruch in sich.« Sie tranken. Sigurd hustete kurz, als er seinen Becher absetzte. Edgar wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Und irgendwann erklärst du mir, aus welcher Ecke von Runis du stammst, so, wie du aus der Art schlägst.«

»Sicher, mein Herr.« Er sah sich um und Edgar verstand.

»Ja, geh nur. Wenn es sein muss, helfe ich Rouven aus der Wanne. Er wird alt, weißt du.« Sigurd nickte grinsend und hob die Plane des Eingangs. Er wollte gerade eine gute Nacht wünschen, als Edgar sich duckte und so dem nassen Handtuch auswich, das Rouven geworfen hatte. Es klatschte oberhalb des Zelteingangs spritzend an die Plane und glitt dann an dem Rock der jungen Frau herab, die im Eingang stand. Lissa.

Augenblicklich war ich auf den Beinen, was keinem im Zelt verborgen blieb. Ich verwünschte mich selbst für meine Reaktion. Edgar grinste mit erhobenen Brauen, Rouvens Erstaunen brannte mir im Rücken. Josha sah von Lissa zu mir und wieder zurück. Ich wusste, er dachte an unser Gespräch von vorhin. Plötzlich schwitzte ich und wäre am liebsten zum Zelt hinaus geflohen. Und doch wieder nicht. Lissa stand dort.

Sie sah an sich herab und wischte über den feucht gewordenen Stoff ihres Rocks. Dann sah sie hoch und direkt in meine Augen. Zum ersten Mal sah ich direkt in ihre Augen. Ein Kastanienbraun, so dunkel, dass ich kaum ihre Pupille ausmachen konnte, wohl auch, weil sie noch im Eingang des Zeltes stand. Die Farbe ihrer Augen stand in so schroffem Gegensatz zu ihrem hellen Haar, dass ich einen trockenen Mund bekam. Alles an dieser Frau schien dunkel, selbst ihre Stimme.