Banküberfall

 

„Also wirklich!“ Judith ruckte in ihren Fesseln.

„Was? Ich kann nichts dafür.“

„Wir sind hier Opfer eines Banküberfalls und Sie … Sie …“

„Ja, was?“ Der Mann, an den man sie gekettet und gebunden hatte, Gesicht an Gesicht, die Arme über Kreuz im Rücken des anderen, damit sie sich nicht befreien konnten, grinste auf sie herunter. Dann seufzte er.

„Hören Sie … Sie sind die erste Frau seit mindestens drei Monaten, die mir so nahe kommt. Und …“, er ruckte kurz, damit sie ihn ansah. „Sie riechen gut.“

„Und was soll ich Ihrer Meinung darauf antworten!“

„Nichts. Es ist, wie es ist. Genießen Sie es doch.“

„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?“

„Ernst habe ich ihn zwar noch nie genannt. Aber doch, er mag sie.“

Judith starrte weg. Dieser Tag war alles andere als gut. Um die Unterschrift auf dem Kaufvertag für die blöde Wohnung hinauszuzögern, war sie mehrfach zur Toilette gestürzt. Und als sie sich wieder gefasst hatte und zurückkam, stolperte sie direkt in den Überfall.

Drei Bankräuber. Bewaffnet bis an die Zähne. Skimasken. Schwarze Kleidung. Dumm wie Brot. Wussten diese Dilettanten denn nicht, dass es auf der Bank nur noch Geld aus dem Automaten gab? Und gegen die gleichgültige Metallverkleidung des Geldspenders kamen Waffen nun mal nicht an.

Geiseln jedoch schon. Wenn man sie als Druckmittel benutzte, um vom Bankleiter den Code für den Raum hinter den Automaten zu erpressen.

Die Geiseln. Paarweise zusammengekettet. Außer einem männlichen Gespann waren die restlichen der drei Paare gemischt. Handschellen. Nylonseile. Die Pärchen strategisch im Raum verteilt. Eines vorne beim Eingang, eines am Hinterausgang, eines mitten im Kassenraum und Judith harrte mit ihrem Gefährten unter dem Oberlicht, wo der Wartebereich mit Sesseln und Wasserspender war. Ein Einsatzkommando der Polizei würde zuallererst die Geiseln gefährden, bevor sie an die Bankräuber herankamen.

Judith schwieg, vermied jede Bewegung und versuchte zu ignorieren, dass der Mann sie eindringlich musterte. Beinahe war sie froh, als das männliche Pärchen am Eingang eine Diskussion mit den Bankräubern startete. Besonders …

„Was ist das für ein Idiot?“ Der Mann bei ihr schnaubte. „Er heizt die ganze Stimmung nur noch auf mit seinem Gelaber.“

„Dieser Idiot ist mein Mann.“

„Herzlichen Glückwunsch!“, kam es von Herzen. Und als Robert, Judiths Mann, eine mit dem Pistolengriff übergezogen bekam: „Autsch. Das hat bestimmt wehgetan. Der Arme.“

„Ihren Spott können Sie bei sich behalten.“

„Jetzt aber mal ehrlich, Lady. Was wollen Sie mit diesem Vollpfosten?“

„Tja, das frage ich mich manchmal auch“, seufzte Judith ohne nachzudenken.

„Höre ich da etwa Frust?“

Judith sah nach oben. Der Mann, an den man sie gebunden hatte, war mindestens 15 Jahre jünger als sie und groß. Er hätte seinen Kopf leicht auf ihren legen können. Schlank, fast dürr, sie spürte seinen festen Körper viel zu deutlich an ihrem. Etwas längere Haare, im Nacken gebunden. Nicht unbedingt ihr Typ. Wenn da nicht seine braunen Augen gewesen wären, die jetzt belustigt zu ihr herunterlächelten. Er sah mit Lächeln viel besser aus.

„Sie nehmen das Ganze hier wohl auf die leichte Schulter“, sagte sie vorwurfsvoll.

„Wie man’s nimmt. Ich bin hier, weil ich nach einem Kredit fragen wollte. Jetzt bin ich an eine herrlich duftende Frau gefesselt. Ich muss sagen, der Tag ist nicht sooo schlecht. Im Gegenteil.“ Er lächelte, das Braun seiner Augen sanft. „Ich bin fasziniert.“

Judith sah kurz nach unten. „Könnten Sie das lassen?“

„Nein, kann ich nicht. Wie bitte, soll das gehen?“

„Denken Sie an etwas anderes, verflucht. An kalte Hundeschnauzen zum Beispiel. Das ist Belästigung.“

„Man hat Sie mir auf den Bauch gebunden, Lady, das kann ich nicht ändern.“

Judith schnaufte. „Hören Sie, wir werden ab sofort jeden Gedanken und jedes Wort oberhalb der Gürtellinie lassen. Verstanden?“

Er zuckte mit den Schultern, die Fesseln wurden enger. „Ihre Oberweite fühlt sich …“

„Kein Wort! Nicht ein Einziges!“

„Hey, ich war eindeutig über der Gürtellinie. Aber gut, wenn es Sie beruhigt, ich gebe mir wirklich Mühe. Wie heißen Sie?“

„Bitte?“

„Wir werden noch eine Weile hier festsitzen, da können wir uns doch bekannt machen. Mein Name ist Carsten. Mit C.“

„Judith.“ Dann: „Warum mit C?“

„Weil meine Mutter besonders kreativ sein wollte und mir das mit auf den Weg gegeben hat.“

„Was ist daran kreativ, Carsten mit C zu schreiben?“ Judith sah hoch. „Hat es gewirkt?“

„Ja, das kann man sagen. Ich bin Maler.“ Carsten lächelte und Judith schluckte.

„Maler? Im Sinne von: ich tapeziere und streiche. Oder: ich male Bilder, die man an die Wand hängen kann.“

„Weder, noch: ich male mit Worten.“

„Oha.“

„Was, oha?“

„Die Kreativität Ihrer Mutter hat durchgeschlagen. Sie malen mit Worten!“

„Also, jetzt bin ich gekränkt … Da will man die Frau seiner Träume beeindrucken und sie macht sich darüber lustig.“

„Die Frau Ihrer Träume? Wir wollten doch alles über der Gürtellinie lassen.“

Sie schwiegen eine Weile. Sahen von ihrem Platz aus zu, wie die Diebe die Tür zum Raum hinter den Geldautomaten mit Plastiksprengstoff verklebten. Das männliche Duo, vor allem Robert, protestierte schon wieder.

„Sie sind wirklich mit dieser Nulpe verheiratet? Ich kanns nicht glauben.“

„Warum nicht? Robert ist verlässlich, treu, hilfsbereit …“

„Langweilig?“

Judith ging nicht darauf ein. „Wir sind hier, um einen Kaufvertrag zu unterschreiben. Robert will eine Wohnung kaufen.“

„Sie aber nicht?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Deshalb waren Sie auf dem Klo.“

„Woher wissen Sie das?“

„Sie sind mindestes zweimal an mir vorbeigelaufen. Ich habe hier gewartet.“ Carsten wurde leiser. „Sie sind mir aufgefallen, Ihr Geruch. Der ist umwerfend.“

„Carsten, wir hatten eine Abmachung.“

„Die Sie alleine getroffen haben. Ich kann nun mal nicht weg. Und wenn ich ehrlich bin, will ich auch nicht.“

„Was schreiben Sie denn? Habe ich schon etwas von Ihnen gelesen?“

„Nein. Bestimmt nicht. Ich bin noch in der Schaffensphase.“

„Aha.“

„Ihre Einsilbensätze sind gemein. Das werde ich mir merken.“

„Zum Malen?“ Judith grinste.

„Sie sind ein ganz schönes Biest, wissen Sie das?“

Jetzt wurde es wieder laut im vorderen Bereich. Die Geiseln wurden in die Büros gescheucht, was unfreiwillig komisch aussah, weil sie kaum gehen konnten. Robert und der Bankleiter stürzten unglücklich, rissen eine Topfpflanze zu Boden und wälzten sich wütend im herauskollernden Substrat.

„Also, dieses Bild werde ich so schnell nicht vergessen.“ Carsten kniff die Augen zu.

„Stimmt. Aber was wäre man ohne Erinnerungen?“ Judith schüttelte ungläubig den Kopf und beobachtete, wie das gestürzte Paar weggetragen wurde.

Dann wurde es still.

„Man hat uns vergessen.“ Carsten sah auf Judith herunter.

„Sieht so aus. Was …“

Das Glas des Oberlichtes über ihnen knisterte. Dann ein leises Klopfen. Judith und Carsten sahen hinauf. Ein Polizist mit Sturmmaske und Maschinengewehr stand über ihnen und gab Zeichen.

„Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen, Lady.“

Sie trippelten zur Seite.

Dann brach die Hölle los. Der Sprengstoff am Automaten explodierte. Das Oberlicht implodierte. Scherben und Splitter pfiffen klirrend und schlitternd durch die Bank. Zwei Männer eines Sonderkommandos seilten sich vom Oberlicht herunter und rannten nach vorne. Der gesprengte Geldraum qualmte und Geldscheine flatterten vor Hitze durch die Luft. Einer der Bankräuber tauchte aus dem Rauch auf und rannte los. Geduckt. In die Richtung, wo Judith und Carsten noch immer ausharrten. Er ging jedoch zu Boden, als er von einem der Polizisten mit einem Hechtsprung angerempelt wurde. Die Geldbündel, die er gepackt hatte, wurden hochgeworfen und …

Eines davon landete genau zwischen Judith und Carsten. Ein anderes streifte Judiths Rücken.

Sie sahen sich an.

Übereinstimmung.

Ohne zu Überlegen ruckte und wand sich Judith, als ob sie mit Carsten eng tanzen würde. Das Bündel verschwand knisternd zwischen ihren Körpern.

„Eine Dame in jeder Lebenslage“, grinste Carsten. „Was machen wir mit dem anderen?“

„Welches andere?“

„Das ich hinter deinem Rücken aufgefangen habe.“

„Steck es mir unter den Hosenbund.“ Sie sah nach vorne. „Schnell.“

„So viel dazu, dass wir oberhalb der Gürtellinie bleiben wollten.“

 

Eine Woche später:

„Du duftest einfach herrlich, Lady. Deinen Geruch kann ich unter Tausenden erkennen.“ Carsten kam unter der Decke hervor.

„Du bist wieder am Malen.“

„Stimmt, und was dich betrifft, kanns nicht genug der Worte sein. Was machen wir heute?“

„Unter der Gürtellinie bleiben.“